Schon als Kind spielte ich mit dem Gedanken, Pfarrerin zu werden. Eine Weile lang konkurrierte dieser Berufswunsch mit einem anderen. Ich konnte mir nämlich auch gut vorstellen, Entdeckerin zu werden. Wie Ferdinand Magellan1 das Unmögliche möglich machen und Wege finden, die sich noch niemand vorstellen konnte. Oder wie David Livingstone2 das, wovon wir nur vom Hörensagen wissen, mit eigenen Augen sehen. Als kleines Mädchen war mir noch nicht bewusst, dass viele dieser Entdeckungsreisen nicht nur von Abenteuerlust inspiriert waren, sondern auch mit geopolitischen Machtgelüsten zu tun hatten. Damals störte ich mich noch nicht daran, dass die Geschichten, die ich las, immer nur von Entdeckern handelten. Erst viel später habe ich mit Freude festgestellt, dass es auch Entdeckerinnen gibt.
Ich bin schliesslich Pfarrerin geworden. Und irgendwie auch Entdeckerin. Ich suche und finde Orte, an denen spürbar wird, dass die christliche Botschaft auch heute noch relevant ist. Ich suche und finde Menschen, die grosse Freiheit erleben, weil sie sich Gott anvertrauen können. Die deswegen anders mit Verlust, Unsicherheit und Verletzungen umgehen können. Ich suche und finde Spuren von dem, was die Bibel Gottes Reich nennt: Menschen, die zueinanderstehen, weil sie inspiriert vom Geist wissen: Wir leben nicht nur für uns selbst. Wenn unser Glaube, wenn Gottes Geist uns bewegt, dürfen wir auch zur Veränderung der Welt beitragen. Solche Entdeckungen sind für mich inzwischen wertvoller als jede unbefahrene Seestrasse und jedes bisher unerforschte Naturphänomen.
Yvonne Szedlàk-Michel
1 ca. 1485–1521, erste historisch belegte Weltumsegelung
2 1813–1873, erster Europäer an den Viktoriafällen