Weltweite Kirche – was bedeutet das?

 

«Weltweite Kirche – was bedeutet das?» habe ich mich gefragt, als ich das Thema für die aktuelle MENU-Ausgabe gesehen habe. Gerne lasse ich Sie an meinen Gedanken teilhaben.

 

WELTweit: Laut einigen Quellen des Internets gab es im Jahr 2023 weltweit erstmals mehr als 2,2 Milliarden Christen. Angeblich sollen jährlich sogar rund 1,18 Prozent neu zum Glauben an Jesus Christus kommen, das sind etwa 30 Millionen Menschen! Laut einer Studie von Religionsforschern aus Boston entscheiden sich pro Tag sage und schreibe 82 000 Menschen für Jesus. Das klingt erst mal fantastisch. Doch für mehr als 365 Millionen Christen bedeutet der Entscheid, an Jesus zu glauben, Diskriminierung, Verfolgung und Folter – ja sogar den Tod. Trauriger Anführer der Rangliste der Länder, in denen das Christentum am meisten verfolgt wird, ist nach wie vor Nordkorea, dicht gefolgt von Somalia und Libyen (Quelle: Weltverfolgungsindex von Open Doors).

 

Ganz selbstverständlich sprechen wir von Jesus, dieser wurde und wird aber nicht überall so genannt. Der Messias kommt ursprünglich aus Israel und war beziehungsweise ist dort als Yeshua bekannt. Durch den griechischen Einfluss der damaligen Zeit wurde aus Yeshua bald einmal Iesous (lateinisch Iesus). Von dort ist es nicht mehr weit zur deutschen Form Jesus. Unabhängig jedoch von Sprache oder Herkunft, kam und starb Yeshua, Gesù Cristo (Italienisch) oder Ісус Христос (Ukrainisch) für ALLE Menschen! Seine Botschaft der Liebe und Hingabe ist weltweit die gleiche und seine Einladung gilt für alle gleich!

 

Weltweite KIRCHE: Wie können wir eine weltweite Kirche sein? Wie gelingt uns Einheit, wenn die Kulturen und Ansichten teilweise sehr unterschiedlich sind? An unserer Liebe zueinander soll die Welt erkennen, dass wir seine Jünger sind (Johannes 13,35). Diesen klaren Auftrag gab uns Jesus, obwohl (oder weil?) er wusste, dass wir nicht alle gleich sind.

 

Nadja Loosli

 



Kirchenwelt

 

Kurz nach meiner Konfirmation nahm mich eine Freundin mit nach Taizé. Bis dahin kannte ich nur die Landeskirche, in der ich aufwuchs und einige wenige Freikirchen. Auf das, was ich in der Communauté in Taizé antraf, war ich in nicht vorbereitet: Hunderte junge Menschen aus aller Welt und eine Gruppe von Brüdern feierten schlichte Gottesdienste mit einfachen Gesängen und viel Stille. Mit der Zeit begann ich zu verstehen, dass hier nicht nur Menschen unterschiedlichster Nationalitäten zusammengefunden haben, sondern auch unterschiedlichster Konfessionen. Taizé ist eine ökumenische Kommunität, die sich für Versöhnung einsetzt und junge Menschen auf ihrer Suche nach Gott begleitet. Selten lernte ich in so kurzer Zeit so viel Neues kennen: Orthodoxe Brüder aus Osteuropa erklärten uns Ikonenbilder. Katholische Jugendliche aus Deutschland erzählten von der lebendigen Jugendarbeit in ihren Pfarreien. Koreaner teilten mit uns ihre Schwierigkeiten, die Worte von Jesus zu verstehen, wenn er vom «Brot des Lebens» spricht – sie essen nämlich kein Brot, sondern nur Reis. Jugendliche aus Brasilien berichteten darüber, was es heisst, Christ zu sein in einem Armenviertel. Mir dämmerte es, dass es ausserhalb meiner kleinen, reformierten Schweizer Welt noch viel mehr gibt und dass der Leib Christi viel grösser ist, als ich es mir bis anhin bewusst war. Mir öffnete sich ein riesiger Horizont.

 

Heute weiss ich mehr über die weltweite Kirche. Es gibt über 2 Milliarden Christinnen und Christen weltweit. Als Teil der reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn sind wir verbunden mit der weltweiten Gemeinschaft von Christinnen und Christen. Wir sind Mitglied in diversen reformierten und ökumenischen Verbänden und Konferenzen in Europa und weltweit. Zugegeben, davon merken wir in unserem Kirchenalltag wenig. Und doch sind diese Zusammenschlüsse und Treffen wichtig. Sie helfen der weltweiten Kirche im Dialog zu bleiben und Bewusstsein zu schaffen für die Vielfalt des Leibes Christi. Diese Vielfalt begeistert mich. Auch wenn ich längst nicht alle Facetten des Christentums kenne, so sehe ich im Wenigen, das ich kenne, die Vielfalt Gottes.

 

Es ist wichtig, uns immer wieder bewusst zu machen, dass es mehr gibt als unsere eigene, kleine Kirchenwelt. Vergessen wir nicht: Durch Jesus Christus sind wir verbunden mit 2 Milliarden Glaubensgeschwistern.

 

Barbara Stankowski

 


Zwei persönliche Perspektiven auf die Kirche in Europa

 

Viele Menschen, die zur reformierten Kirchgemeinde Ittigen gehören, haben längere Zeit im Ausland gelebt und bringen von dort Kirchenerfahrungen mit. Christiane Saïla und Tibor Szedlák berichten hier darüber:

 

«Ich bin ich», egal ob in Finnland lutherisch oder in der Schweiz reformiert. Christiane Saïla schmunzelt, wenn sie die Geschichte ihrer doppelten Kirchenbürgerschaft erzählt. 1967 reiste sie nach Finnland, um zu heiraten. Alles war vorbereitet, die Kirche reserviert, die Flüge für die Eltern gebucht. Als Christiane die Eheschliessung im Kirchenbüro anmelden wollte, waren nicht nur ihre noch begrenzten Finnisch-Kenntnisse eine Herausforderung, sondern auch die Tatsache, dass sie reformiert war. Sie müsse konvertieren, hiess es. Befremdet, weil sie meinte, es könne zwischen dem evangelisch-reformierten Glauben in der Schweiz und dem evangelisch-lutherischen Bekenntnis in Finnland keine grossen Unterschiede geben, liess sie sich aber darauf ein. In einer kleinen Kapelle, mit zwei Sekretärinnen des Kirchenbüros als Zeuginnen, wurde sie bald darauf Teil der lutherischen Kirche. Überglücklich entdeckte sie bei dieser kurzen Zeremonie: Die Melodien der Kirchenlieder sind die Gleichen. Danach stand der Hochzeit nichts mehr im Weg. 

Christiane ist immer noch überzeugt, dass die Unterschiede zwischen dem Glauben in verschiedenen Ländern und verschiedenen Konfessionen nicht so gross sind. 

 

Tibor Szedlák wurde katholisch getauft und ist in der reformierten Kirche in Ungarn aufgewachsen. An der ungarisch-reformierten Tradition mag er besonders die Wertschätzung der biblischen Texte und meint: «Meines Wissens ist die ungarische reformierte Kirche eine von nur zwei Kirchen weltweit, die noch alle 150 biblischen Psalmen mit den Melodien aus der Zeit Calvins in ihrem Liedbuch abdrucken. Laut alter Tradition wird in jedem Gottesdienst eines der Lieder aus diesem Genfer Psalter gesungen. Das fasziniert mich doppelt: Erstens stehen die Worte der Heiligen Schrift nicht nur als Lesung und Predigttext, sondern auch als Kirchenlieder im Mittelpunkt des Gottesdienstes. Zweitens haben diese Lieder etwas wunderbar Geheimnisvolles für mich: 3000 Jahre alte Texte mit 500 Jahre alten Melodien, vielleicht in einer 1000 Jahre alten Kirche zu singen, verbindet mich mit unzähligen Generationen von Frauen und Männern, die Gott, der auch mein Gott ist, angebetet und bei ihm Zuflucht gefunden haben. In diesen Momenten glaube ich, die kaum vorstellbare Ewigkeit Gottes berühren zu können.»