Wachstum und Hoffnung

Eine KUW-Schülerin schenkte mir vor einigen Jahren eine kleine Papyruspflanze. Sie erklärte, dass sie Wurzeln bildet, wenn man sie ins Wasser stellt, und dass daraus sogar ein «Dschungel» entstehen kann. Heute steht die Pflanze bei mir in der Stube und ist über zwei Meter hoch. Die Papyruspflanze wuchs sogar durch die Wand des Topfes. Dieses Wachsen fasziniert mich, diese Kraft ist für mich beeindruckend, überwältigend sogar.

 

Jesus sagt, dass das Reich Gottes mit genau solcher Kraft unter uns ist und wächst: «Mit dem Reich Gottes ist es wie mit einem Menschen, der die Saat auf seinem Acker ausgestreut hat: Er legt sich schlafen, er steht wieder auf, ein Tag folgt dem anderen; und die Saat geht auf und wächst – wie, das weiss er selbst nicht. Ganz von selbst bringt die Erde Frucht hervor: zuerst die Halme, dann die Ähren und schliesslich das ausgereifte Korn in den Ähren. Sobald die Frucht reif ist, lässt er das Getreide schneiden; die Zeit der Ernte ist da.» (Markus 4,26–29).

 

Diese geheimnisvolle, kaum erklärbare Kraft des Wachsens gibt mir Hoffnung: Samen aussäen ist ein Akt der Hoffnung. Wir hoffen auf die Ernte, wenn wir säen. Wir hoffen, dass weder Stürme noch Dürre, weder Krankheit noch wilde Tiere unsere Saat zerstören und wir das Mehrfache von dem zurückbekommen, was wir ausgesät haben. So ist es mit jedem neuen Anfang. Ohne die Hoffnung, dass es sich in der einen oder anderen Form auszahlt, würden wir nie in etwas Zeit, Energie oder Geld investieren. Ohne die Hoffnung, dass etwas sinnvoll ist und Gutes und Wertvolles bringt, können wir nichts aus ganzem Herzen machen.

 

Ohne Hoffnung können wir nichts aus ganzem Herzen tun, aber auch nichts richtig loslassen. «… ein Tag folgt dem anderen; und die Saat geht auf und wächst – wie, das weiss er selbst nicht.» Auch Warten ist ein Akt der Hoffnung. Nicht alles kontrollieren wollen. Nicht alles kontrollieren können, trotzdem Ruhe und inneren Frieden finden. Das ist nur dort möglich, wo es Hoffnung gibt. Ganz von selbst bringt die Erde Frucht hervor – sagt uns Jesus –, so ist es mit dem Reich Gottes. Wir dürfen uns auf seine Kraft verlassen. Wir dürfen hoffnungsvoll neue Schritte wagen, aber auch anhalten, warten und loslassen.

 

Im Reich Gottes ist sogar das Sterben ein Akt der Hoffnung. Diese Hoffnung, die über das irdische Leben hinausgeht, wird im schönen, alten Wort «Gottesacker» ausgedrückt. Der Friedhof wurde früher so genannt. Gottesacker: Hier sind wir, die Menschen, die Samen. Wir wissen nicht wie, aber einmal, durch die Auferstehung, wächst etwas unbeschreiblich Schönes aus uns und verziert die Ewigkeit Gottes.

 

Daher lade ich Sie ein, Ihr ganzes Leben dem Reich Gottes zu verschreiben. Es wächst stärker als der Papyrusdschungel in meiner Stube und sprengt garantiert jeden Topf. Darum dürfen Sie alles im Hoffen auf Gott tun, egal wie herausfordernd es ist. Sie dürfen alles ihm überlassen, auch das, was Sie nicht verstehen. Das Leben ist ein Wechselspiel von Tun und Lassen, und beides braucht Hoffnung. Ich wünsche Ihnen, dass Sie diese unaufhaltbare, tragende Kraft des Reichs Gottes immer wieder erleben!

 

 

Auszug aus der Konfirmationspredigt 2024 von Tibor Szedlák



Pflanze der Hoffnung

Beim Kramen in alten Erinnerungen habe ich Fotos wiedergefunden. Sie stammen aus früheren Ferien in Italien. Damals machten wir an einem riesigen Soldatenfriedhof Halt. Auf den Infotafeln lasen wir viel über die historischen Hintergründe und die Entstehung dieser Gedenkstätte. So auch, dass hier über 20‘000 deutsche Soldaten begraben sind. Auf den einzelnen Steinkreuzen waren auf beiden Seiten jeweils zwei bis drei Namen von Gefallenen eingraviert; meist ganz junge deutsche Männer, die gegen Ende des Zweiten Weltkrieges ihr Leben lassen mussten. Wir konnten nicht fassen, was wir sahen. Stumm liefen wir durch die endlosen Gräberreihen. Eine tiefe Traurigkeit überkam mich und ich hatte grosse Mühe, damit umzugehen. Ich dachte an die toten Soldaten und ihre Familien. Und dann wurde uns auch noch erzählt, dass dies «nur» etwa ein Viertel der Getöteten aus dieser Schlacht seien, denn auch etwa 55‘000 alliierte Soldaten seien damals in dieser Region umgekommen. Unfassbare Zahlen! 

 

Während ich gedankenversunken einen Fuss vor den anderen setzte, fiel mir auf einem der Kreuze etwas Aussergewöhnliches auf. Ich ging näher und sah ein winziges Loch oben auf dem Stein, aus dem ein zartes, kleines Pflänzchen wuchs. Ich konnte meinen Blick nicht mehr davon lösen. Wie war das möglich? Ein Wunder! Inmitten dieser steinernen Gräber entstand etwas Neues. Das Pflänzchen zitterte im Wind, aber es hielt sich, wie aus Protest, beharrlich fest!

 

Dieses Erlebnis habe ich lange nicht vergessen und es berührt mich auch heute noch tief. Das Pflänzchen schien mir der Inbegriff der Hoffnung zu sein! Eine Art Zuversicht auf den Relikten der sinnlosen Kriege.

 

Wenn ich an die aktuellen Konflikte denke, will ich weiter auf Versöhnung hoffen und auf ein kleines Pflänzchen des Friedens, das wachsen und gedeihen kann, auch in der heutigen Welt.

 

Liz Gerber